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Denkmaltag 2011 / Öffentliche Bauten

Moritz von Schwind – ein Romantiker? Seine Wandmalereien im Treppenhaus der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe

Innenstadt-West, Hans-Thoma-Straße 2

In seinem ersten Entwurf für die Kunsthalle von 1837 hatte der Architekt Heinrich Hübsch bereits Wandmalereien vorgesehen. Für die Ausmalung des Gebäudes versuchte er, den in München lebenden Wiener Maler Moritz von Schwind zu gewinnen. Im September 1840 kam Schwind nach Karlsruhe und brachte den in Originalgröße ausgeführten Entwurf mit. Das 4,20 x 9,25 m große Hauptfresko im Treppenhaus wurde 1842 vollendet.

Das Fresko zeigt einen Festzug lebensgroßer Gestalten, die sich von beiden Seiten dem romanischen Portal des Freiburger Münsters nähern. Obschon neben dem Münster von Straßburg und dem Dom von Köln das Freiburger Münster mit dem "schönsten Turm der Christenheit" auch schon im 19. Jahrhundert schlechthin als Inbegriff der deutschen Gotik galt, ist hier die Westfassade mit dem Turm lediglich bis Portalhöhe dargestellt. Darüber hinaus wird anstelle des gotischen Portals mit dem Spitzbogen ein romanischer Rundbogen gewählt. Das gotische Münster als Ganzes erscheint aber nur als kleines Modell, das der Geselle des Baumeisters in Händen hält.
     
Dargestellte historische Persönlichkeiten
Schwind lässt historische Persönlichkeiten aus unterschiedlichen Jahrhunderten nebeneinander auftreten. Unter Herzog Konrad wurde der Bau des Münsters begonnen und auch vollendet. In herrschaftlichem Gewand und Erhabenheit steht er mit Stiftungsurkunde in der Hand auf der rechten Seite. In der Ferne reitet am Waldrand Bernhard von Clairvaux mit der Kreuzzugsstandarte auf einem Esel im Gefolge seiner Ordensbrüder. Rechts hinter Herzog Konrad steht als einziger Geistlicher auf der Zähringerseite Bischof Rudolf. Der Ritter neben ihm mit dem Zähringer Löwen auf der Brust und der rot-goldenen Landesfahne dürfte sein Bruder Bertold IV. sein, der nach Konrads Tod regierte. In dem Knaben an seiner Hand wäre Bertold V., der letzte Zähringer, zu erkennen, der das Langhaus des Münsters erbauen ließ. Eine weitere historische Gestalt der Baugeschichte ist Erwin von Steinbach, der legendäre Baumeister des Straßburger Münsters. Er steht, dargestellt als Jüngling, hinter dem Gesellen mit dem Modell. Schwind spielt darauf an, dass Erwin in der Freiburger Münsterhütte in die Lehre gegangen war.

Romantische Allegorien und Motive
Unzählige Gestalten aus dem Volk bereichern den breiten Zug. Hochzeit, Taufe, Erntedank und Kirchweih werden gleichzeitig gefeiert. Auf der rechten Seite können an den gekreuzten Hämmern, der Öllampe sowie den typischen Hüten und der Standarte der Hl. Barbara, der Schutzpatronin der Bergleute und Architekten, Bergleute erkannt werden. Blei- und Silberbergbau im südlichen Schwarzwald waren nämlich seit dem 11. Jahrhundert von großer Bedeutung für die Freiburger Landesherren. Rechts hinten erhebt sich über dem historischen Kaufhaus der Schlossberg, auf dem angeblich 1090 die erste Stammburg der Zähringer errichtet worden war. Auf der linken Seite hingegen bezeichnet ein Schild das Wirtshaus "Zur Melusine" – eine sagenhafte Gestalt, deren Legende Schwind später mehrmals zu Darstellungen angeregt hat. Den absoluten Mittelpunkt des Wandbildes bildet das romanische Portal mit der "Verkündigung Mariae" im Bogenfeld als Hinweis auf die Patronin des Münsters. Ein geraffter Vorhang gibt darunter den Blick ins Halbdunkel des Kircheninneren frei, wo ein Schrein sichtbar wird.

Dargestellte zeitgenössische Persönlichkeiten
Schwind überlagert die historische Ebene mit Darstellungen seiner Zeitgenossen. So kann in der Gestalt des Fahnenträgers Bertold IV. das Portrait Großherzog Leopolds, des Auftraggebers der Kunsthalle, mit dem Erbprinzen an der Hand ausgemacht werden. Hinter ihm folgen dann die Großherzogin, die Prinzessinnen und Hofdamen, allesamt in mittelalterlichen Kostümen. Als beleibter Steinmetzgeselle auf dem Baugerüst rechts oben erscheint Schwind selbst. Den Architekten Heinrich Hübsch platzierte er vor dem Gewände auf der rechten Seite des Portals, unmittelbar hinter dem Baumeister mit dem romanischen Grundriss. Der Mann mit dem Winkelscheit neben ihm verkörpert Friedrich Weinbrenner, Heinrich Hübschs Lehrer und Begründer der Karlsruher Bauschule.

Ein Dokument der badischen Staatspolitik
Im Freiburger Münster war 1806 die Übergabe des Breisgaus an Baden erfolgt. Mit der Darstellung der "Einweihung des Freiburger Münsters" in einem öffentlich zugänglichen Gebäude in der Residenzstadt Karlsruhe wird damit deutlich, dass das Münster und damit auch Freiburg und der gesamte Breisgau zu Baden und nicht mehr zum Hause Habsburg gehören. 
Der romanische Bau des Münsters war für das Fresko gewählt worden, weil er noch zu Zeiten der Herrschaft der Zähringer entstanden war. Der Großherzog von Baden hatte 1806 wieder den Titel des Herzogs von Zähringen angenommen, um seinen Machtanspruch auf den Breisgau zu demonstrieren. Waren doch die Vorbehalte gegen das Haus Baden vonseiten der Freiburger Bürger so groß, dass es zwischen 1813 und 1816 mehrfach Sympathiebekundungen für das Haus Habsburg und einen Wiederanschluss der Stadt an Österreich gab. So verwundert es nicht, dass die romanische Zähringerkirche monumental dargestellt ist, hingegen das gotische Münster nur als kleines Modell erscheint.


Text: Staatliche Kunsthalle