Farbvielfalt des Historismus und Jugendstils rund um den Ludwigsplatz

Kaiserstr 201

In der Architektur um 1900 spielt die Farbigkeit eine große Rolle, und zwar nicht nur als aufgetragene Farbe, sondern auch in der Verwendung unterschiedlicher Baumaterialien wie zum Beispiel Putz oder Haustein, gelber oder roter Sandstein, Backstein oder Schindeln. Gleichzeitig kam der Begriff von der „malerischen Architektur“ auf. Drei charakteristische Beispiele, errichtet zwischen 1891 und 1915, stehen in der Nachbarschaft oder direkt am Ludwigsplatz: die Hofapotheke, das Papierhaus Erhardt und das Gebäude der ehemaligen Gastwirtschaft Krokodil (heute „Enchilada“). An diesen Bauten lassen sich ganz unterschiedliche Strategien der Farbgestaltung beobachten.

Farbenvielfalt des Historismus und Jugendstils um den Ludwigsplatz –
Hofapotheke, Haus Erhardt und Krokodil

Von dem monumentalen, kraftvoll-lebendig wirkenden roten Sandsteinbau der Hofapotheke heben sich kontrastierend weiße Mörtelfugen ab, die wie ein helles Netz den plastisch vor- und zurückdrängenden Baukörper zusammenhalten und einbinden. Dieses feine Netz findet beziehungsweise fand seine Fortsetzung in den feingliedrigen weißen Fenstersprossen sowie dem abstrakten dunkelgrünen Lineament auf weißen Rollläden und Dachgauben-fronten. Je nachdem, wie weit die Rollläden herabgezogen waren, gab es mehr oder weniger an abstrakter Ornamentik zu sehen und veränderte sich damit auch die Optik der Fassade. Zusätzliche Akzente setzen beziehungsweise setzten das grün gefasste Apothekerkreuz sowie Vergoldungen an Baudetails. In einer Wandkartusche rechts vom Eingang zur Apotheke wird dem Bau in goldgefassten Lettern geradezu ein „Gütesiegel“ verliehen. Die Übersetzung der lateinischen Inschrift lautet: „Der Bürgerschaft zum Wohl, der Stadt zum Schmuck.“

Die Hofapotheke, ein Hauptwerk des Karlsruher Jugendstils, wurde 1900/01 von Hermann Billing und seinem zeitweiligen Büropartner Josef Mallebrein für den Apotheker Friedrich Stroebe an der Kaiserstr. 201 / Ecke Waldstraße errichtet. Der Name geht zurück auf die ehemalige Hofapotheke, die 1718 im Karlsruher Schloss gegründet, später privatisiert und 1833 in die Lange Straße (heute Kaiserstraße) verlegt worden war. Nachdem Stroebe 1891 das Anwesen gekauft hatte, beauftragte er Billing mit dem Bau eines anspruchsvollen Neubaus auf dem Zwickelgrundstück: Hier sollten nicht nur die Apotheke und Wohnung des Bauherrn untergebracht werden, sondern noch sechs weitere Läden im Erd- und Zwischengeschoss, darunter auch das erste „Karlsruher Automatenrestaurant“ mit Zugang an der Kaiserstraße.

Hervorstechendster Fassadenschmuck sind noch heute die beiden großen Sandsteinfiguren unterhalb des breiten Erkers an der Kaiserstraße. Die männliche Figur lässt sich aufgrund von Attributen als Hypnos, Gott des Heilschlafs (Klatschmohn), bzw. Apoll, auch Gott der Heilung (Eidechse), deuten, während die weibliche Figur mit der Schlange und Schale  Hygieia darstellt, Tochter des Asklepios, Göttin der Gesundheit und Schutzpatronin der Apotheker.

Leider ist der Bau heute nicht mehr im Originalzustand erhalten. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die Dachlandschaft nur vereinfacht wiederaufgebaut, und bei einer 1975 durchgeführten Renovierung wurden die ursprünglichen Ornamente nicht vollständig oder auch falsch wiederhergestellt. Zum Beispiel ist im Verkaufsraum der Apotheke das Ornamentband der beiden Schlangen an der Decke nicht wieder angebracht worden.

Einen ganz anderen Charakter als die Hofapotheke vermittelt das Papierhaus Erhardt, das 1891/92 von dem Karlsruher Architekturbüro Theodor Kempermann und Hugo Slevogt für den Kaufmann Albert Keller an der Waldstr. 53 / Ecke Erbprinzenstraße ebenfalls auf einem Zwickelgrundstück errichtet worden ist.

Im Unterschied zur Hofapotheke, die wie aus einem Guss wirkt und gleichzeitig ganz unterschiedliche, meist asymmetrische Fassadengliederungen aufweist, erscheint das Papierhaus Erhardt geordneter, additiver in seiner horizontal und vertikal strukturierten Fassade, die sich in einem für den Späthistorismus typischen Stilgemisch aus Elementen der deutschen und französischen Renaissance zusammensetzt. Und während bei der Hofapotheke ein Baustoff – roter Sandstein – vorherrscht, der plastisch bearbeitet oder bemalt ist, sorgen hier unterschiedliche Baumaterialien wie gelber Sandstein und ockerfarbene Backsteine sowie farbige Schmucktafeln aus Email für eine Verlebendigung der Oberflächen. So sind beide Fassaden am Abschluss des zweiten Obergeschosses mit Ornamentbändern geschmückt, die auf blauem Grund Schwäne zeigen, deren Federn in Arabesken aufgehen, wobei zwei Schwäne jeweils symmetrisch zueinander ein Rundbild, ein sogenanntes Tondo, mit einem geschmückten Frauenkopf im Profil einrahmen.

An der Straßenseite zum Ludwigsplatz gesellen sich zwischen die Rundbogenfenster im dritten Obergeschoss noch vier Rundbogenfelder mit großen Tafeln, auf denen weibliche Personifikationen der „Vier Jahreszeiten“ zu sehen sind. Vier dunkelhaarige Damen in leuchtenden Farben und gebauschten Gewändern treten aus angedeuteten Landschaften hervor, die in einen Goldgrund übergehen. Anhand der Attribute lassen sie sich identifizieren: Der „Frühling“ erscheint mit weißen Blütenzweigen, der „Sommer“ mit Getreidegarbe, Sichel und rotem Klatschmohn, der „ Herbst“ mit Wildgeflügel und Bogen, der „Winter“ mit schneebedeckten Ästen. Die plakativen Schönheiten sind auf Fernwirkung bedacht und lassen sich stilistisch zwischen Historismus und Jugendstil einordnen. So erinnert beispielsweise die flächige Komposition der Blütenzweige, des Klatschmohns oder der schneebedeckten Äste an Jahreszeitenfolgen von Alphonse Mucha, während die kräftigen Frauengestalten das gründerzeitliche Schönheitsideal verkörpern.

Tatsächlich lassen sich für zwei Personifikationen, für den „Sommer“ und den „Herbst“, direkte Vorbilder finden: Sie gehen zurück auf Jahreszeitenentwürfe von Alfred Mießner in dem Tafelwerk „Allegorien und Embleme“, herausgegeben von Martin Gerlach in Wien 1882. Dieses Vorlagenwerk wurde 1883 in der Zeitschrift „Gartenlaube“ wohlwollend besprochen, auch im Hinblick darauf, dass die Allegorie ein erster „Brückenpfeiler“ sein könne, um „das Fabelreich des Schönen mit unserem modernen Leben“ zu verbinden. Wie bei der Ausführung in Karlsruhe hält auch der „Herbst“ des Tafelwerks demonstrativ ein Wildgeflügel in die Höhe, und der „Sommer“ ist ebenso in beiden Fällen ähnlich komponiert mit Sichel und Korngabe zu seiner Linken, während die rechte Hand nach Blumen greift.

Leider ist weder der entwerfende Künstler der Emailtafeln noch ihr genaues Entstehungsjahr bekannt, möglicherweise aber der Ort ihrer Herstellung. In Gaggenau, im nicht weit entfernten Murgtal, gab es damals zwei Firmen, die eine breite Palette emaillierter Waren anboten: die „Eisenwerke Gaggenau“, die bereits 1887 Großaufträge für Reklameschilder ausführte, und „Bergmanns Industriewerke“, die 1894 gegründet wurde. Die Erfindung großflächiger Emailmalerei auf Blechtafeln Ende des 19. Jh. bot eine preiswerte und nahezu unverwüstliche Alternative zur Wandmalerei oder zu Dekorationen aus Keramik.

Die verschiedenen Schmucktafeln an dem Haus hatten ursprünglich nicht nur eine dekorative Funktion, sondern sie warben indirekt mit den ausgeschmückten Frauenfiguren auch für die modischen „Kurz- und Wollwaren“, die im Erdgeschoss verkauft wurden.

Im Zweiten Weltkrieg brannte das Gebäude teilweise aus und bekam anschließend ein Notdach, 1979/80 wurde der Dachstuhl in Anlehnung an das alte Mansardendach wieder aufgebaut.
Eine weitere Variante der Fassaden- und Farbgestaltung zeigt das ehemalige Gasthaus „Zum Krokodil“ (heute „Enchilada“) in der Waldstr. 63 / Ecke Blumenstraße, entstanden 1914/15. Verantwortlich zeichnete das Karlsruher Architekturbüro Arthur Pfeifer und Hans Großmann, zwei Architekten, die sich 1905 im Büro von Hermann Billing kennengelernt hatten.

Im Gegensatz zu den plastisch gestalteten, asymmetrischen Steinfassaden, wie sie typisch sind für den Karlsruher Jugendstil um 1900, hat dieser Bau eine flache, klar gegliederte Putzfassade, der auf beiden Straßenseiten wie Schränke jeweils ein hoher, über mehrere Geschosse reichender Erker vorgehängt ist. Beide Erker sind, wie auf alten Schwarz-Weiß-Aufnahmen zu erkennen ist, im Kontrast zur Putzfassade aus steinmetzmäßig bearbeitetem Beton, der sich anscheinend auch farblich von den Putzflächen abgehoben hat, im Unterschied zu heute, wo alles hellblau überstrichen ist.

Außerdem waren beide Erker ursprünglich noch um ein volles Geschoss weitergeführt, bekrönt mit einem Zwerchgiebel, was dem Gebäude einen viel stärkeren Höhenzug gab.  Insgesamt sah die Dachlandschaft nicht so flach wie heute aus. An der Blumenstraße war das Dachgeschoss zusätzlich mit einem breiten Zwerchgiebel samt drei Fenstern und einem Balkon in der Mitte ausgebaut. Große Sterne und kleine Rosetten, die sich mal heller, mal dunkler von der Fassade abhoben, schmückten die Frieszone unterhalb des Giebels. Überdies bekam das Hauptgebäude an der Ecke Blumenstraße / Waldstraße durch ein steiles Dach mit Gauben einen turmartigen Charakter. Erhalten hat sich hingegen die Ornamentgliederung auf den Erkern, die wie ein Rahmenwerk in Senkrechten, Waagerechten und Kreissegmenten die Kanten und Fenster einfasst beziehungsweise umspielt.

Wie beim Haus Erhardt gibt es auch hier Schmucktafeln, allerdings nicht aus Email, sondern aus glasierter Keramik. Die Mittelachsen der beiden Erker sind jeweils zwischen den Fenstern mit unterschiedlich großen und unterschiedlich gestalteten Majolikatafeln in hellblauer Grisaillemalerei betont. Während am Erker zur Blumenstraße ganz oben eine barockisierende Brunnenszene angebracht ist, darunter eine Rechtecktafel mit dem Karlsruher Marktplatz und danach eine ovale Tafel mit dem Namen des Bauherrn und Architekten, ist am Erker zur Waldstraße ganz oben eine ovale Tafel mit einer barockisierenden Gartenszene zu sehen, gefolgt von einer Rechtecktafel mit dem Namen der Wirtschaft und ihrer Erbauungszeit sowie einer rautenförmigen Tafel mit der Münchner Frauenkirche.

Der Bezug zu München kommt nicht von ungefähr, sondern ist bewusst gewählt, wurde doch im "Krokodil" ursprünglich Münchner Löwenbräu ausgeschenkt - wie schon im Vorgängerbau, der 1884 von Architekt und „Krokodilsvatter“ H. Renz in altdeutschem Stil eröffnet worden ist. 1914 hat der neue Eigentümer Jakob Möloth das Büro Pfeifer & Großmann, „Atelier für Baukunst, Gartenbau und Kunstgewerbe“, mit einem Neubau beauftragt. Parallel zu seiner Architektentätigkeit war Großmann von 1910-1914 auch Leiter der Abteilung für Baukeramik an der Karlsruher Majolika und hatte in diesem Zusammenhang 1910 den Auftrag für die künstlerische Ausgestaltung von sechs Räumen des Berliner Vergnügungsetablissements „Admiralspalast“ sowie 1911 für die „Konfitürenabteilung“ des Berliner Kaufhauses Wertheim bekommen. Mit Sicherheit geht daher die Verwendung dekorativer Majolika auf ihn zurück, wobei nicht nur flache Tafeln, sondern auch Tondi, plastische Rundtafeln mit Porträtköpfen, an der Fassade angebracht wurden.

Die Köpfe erscheinen jeweils im Erdgeschoss über den Zwickeln von zwei mit einem größeren Halbbogen zusammengefassten Rundbogenfenstern und stellen Porträts der ehemaligen Wirtsfamilie dar: Jakob Möloth (er starb bereits 1917), seine Frau (mit einer Brosche), seine beiden Söhne (einer mit einem Krokodil am Hals) sowie seine Schwiegertochter Helene Möloth (mit einer Taube).
 
Das Motiv der Keramik-Tondi, ein Schmuckelement der italienischen Renaissance, hat Großmann kurz zuvor an einem  Reihenhaus in der Rüppurrer Gartenstadt verwendet, nach Entwürfen von Wilhelm Süß. In einem Artikel der Zeitschrift „Die Kunst“ von 1913 ist über den  Einsatz keramischer Elemente folgendes zu lesen: „Die Verwendung farbiger Tonreliefs als Fassadenschmuck setzt im allgemeinen einfache Bauformen voraus. Am schönsten wirken sie als Ornament im engeren Sinne: als Medaillon, Supraporte, Fries und dergleichen auf glatten Verputzflächen, Backsteinmauern usw. Hier gibt die Keramik dem Architekten ein vorzügliches Material, die Flächen durch Farbe zu beleben, namentlich da an die Hand, wo er auf sparsame architektonische Mittel angewiesen ist.“

Mit seiner für Karlsruhe ungewöhnlichen Fassadengestaltung und der ehemals turmartigen Überhöhung, die sich ursprünglich auf Christoph Arnolds Haus in der Erbprinzenstr. 34 / Ecke Waldstraße (gegenüber von Papier Erhardt) von 1811/12 bezog, wirkt beziehungs-weise wirkte der Bau wie ein Solitär am Platz. Er nimmt nicht nur mit seiner Putzfassade und dem dekorativen Rahmenwerk Stilformen zeitgenössischer Münchner Architektur auf, sondern er zitiert mit seinen gebündelten Rundbogenfenstern, die von einem großen Bogen überfangen werden, unter dem ein Tondo sitzt, ein klassizistisches Motiv, das an der nördlichen Platzecke bei dem genannten Wohnhaus von Christoph Arnold zur Zeit der Erbauung des „Krokodils“ noch zu sehen war. 1958 wurde es abgerissen.

Text: Susanne Stephan-Kabierske

Literatur:

Ausst.-Kat. Hermann Billing. Architekt zwischen Historismus, Jugendstil und Neuem Bauen. Städtische Galerie Karlsruhe 1997.

Monika Bachmayer, Robert Dreikluft: Jugendstil in Karlsruhe. Formen, Vielfalt, Fantasien. Karlsruhe 2002.

Monika Bachmayer: Zur Baukeramik der Majolika-Manufaktur 1901-1978. In: Ausst.-Kat. Karlsruher Majolika. Die großherzogliche Majolika-Manufaktur 1901-1927. Die Staatliche Majolika-Manufaktur 1927-1978. Bad. Landesmuseum Karlsruhe 1979, S. 92-110.

Gerhard Kabierske: Der Architekt Hermann Billing (1867-1946). Leben und Werk. Materialien zu Bauforschung und Baugeschichte, Bd. 7. Karlsruhe 1996 (Phil.Diss. Univ. Freiburg 1993).

Susanne Stephan-Kabierske: Der Ludwigsplatz. In: Stadtplätze in Karlsruhe. Hrsg. vom Stadtarchiv Karlsruhe durch Manfred Koch. Karlsruhe 2003, S. 164-173.

Susanne Stephan-Kabierske: Schönheiten am Ludwigsplatz. Blick in die Geschichte Nr. 78, 20.03.2008 (Karlsruher stadthistorische Beiträge, Beilage zur StadtZeitung)
(Buchausgabe: Blick in die Geschichte Bd. 4, Karlsruhe 2010, S. 317f.)

Wolfgang Vocilka: Hermann Billing und das erste Automatenrestaurant in Karlsruhe (httpp://www.karlsruhe-stadtmitte.de/18-0-Hermann-Billing-und-das-erste-Automatenrestaurant-in-Karlsruhe.html)

Karl Weiß: Allegorien und Embleme. In: Die Gartenlaube, Leipzig 1883, H. 10, S. 160f.

Karl Widmer: Keramische Plastik aus der Großherzoglichen Manufaktur in Karlsruhe. In: Die Kunst, Bd. 28, Jg. 16, 1913, S. 437ff.

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