i>

Brunnen auf dem Stephanplatz - ein Skandalbrunnen aus dem Jahr 1905

Stephanplatz

Es ist heute kaum noch zu begreifen, dass der Brunnen auf dem Stephanplatz nach seiner Vollendung im Jahr 1905 bei Teilen der Öffentlichkeit auf wütenden Widerstand stieß: Im „Badischen Beobachter“ konnte man damals lesen, der Brunnen sei eine „Mißgeburt der modernen Kunst“, ein dem gesund empfindenden Volke aufgedrängtes „Produkt unverständlicher liberaler Herrenkunst“. Eine von 3468 Frauen unterzeichnete Protestschrift sah in dem Werk sogar eine Gefahr für das „Anstands- und Schamgefühl der heranwachsenden Jugend“. Den Anfeindungen und widrigen Zeitläuften zum Trotz ist der nun gut hundertjährige Brunnen nahezu unbeschadet auf uns gekommen und bildet ein erstrangiges Zeugnis der Karlsruher Kunst- und Kulturgeschichte.

Der Brunnen auf dem Stephanplatz von Hermann Billing und Hermann Binz, 1903-05

Die Idee zu einem Monumentalbrunnen hinter dem kurz zuvor errichteten neobarocken Reichspostgebäude war 1901 erstmals diskutiert worden. Ziel war die Verschönerung des Platzes, den man nach Heinrich von Stephan (1831 – 1897), dem Organisator des deutschen Postwesens, benannt hatte und der im nördlichen Teil für den Wochenmarkt genutzt wurde. Den entscheidenden Anstoß zur 1903 erfolgten Auftragserteilung an den Architekten Hermann Billing (1867 – 1946) mag der Kunstkritiker Karl Widmer mit einigen zündenden Zeitungsartikeln gegeben haben, in denen er der Stadt Karlsruhe vorwarf, zu wenig für die künstlerische Gestaltung öffentlicher Gebäude und Plätze zu tun und insbesondere junge Künstler zu vernachlässigen. Der 36-jährige Hermann Billing war damals allerdings schon ein vielbeschäftigter Mann, frisch ernannter Professor für Architekturzeichnen an der Karlsruher Kunstakademie, zudem ein profilierter Gegner des Historismus und Vertreter eines neuen, am Jugendstil orientierten Bauens.

Ein erster Plan sah ein Bassin vor, in dessen Mitte eine überlebensgroße weibliche Aktfigur aufgestellt werden sollte, hervorgehoben durch einen mächtigen Sockel und einen hohen Baldachin. Diese Figur ließ Billing von seinem Freund, dem Bildhauer Hermann Binz (1876-1946), entwerfen. Sie fand leicht abgewandelt auch im zweiten, ausgeführten Plan Verwendung: Die Bronzeplastik von Binz – gemeint ist eine Quellnymphe, im Volksmund wird sie „Stephanie“ genannt – steht nun auf flachem Postament dezentral im Wasserbecken. Vierzehn Pfeiler umgeben das Bassin. Sie tragen ein ringförmiges Gebälk und sind auf der Innenseite in Kapitellhöhe mit Wasserspeiern geschmückt. Für diese Wasserspeier hat Binz bekannte Karlsruher Zeitgenossen in Sandstein karikiert. Arnold Böcklins steinerne „Fratzen“ an der Kunsthalle in Basel, in denen ebenfalls überzeichnete Porträts gesehen wurden, mögen hierbei Pate gestanden haben. Auf dem Karlsruher Brunnen sind, hinter der Nymphe beginnend, im Uhrzeigersinn zu sehen: Hermann Billing, Karlsruhes langjähriger Oberbürgermeister Karl Schnetzler (ein Gönner Billings), die Maler und Akademieprofessoren Ludwig Dill, Wilhelm Trübner, Hans Thoma und Friedrich Fehr, der Fotograf Karl Ruf, Stadtrat Otto Büttner, die Maler Viktor Roman und Otto Eichrodt, der konservative Stadtverordnete, Bauingenieur und bedeutende Städteplaner Prof. Reinhard Baumeister (der den Brunnenentwurf und insbesondere die Aktfigur heftig bekämpft hatte!), dessen Sohn, der Maler Hermann Baumeister, schließlich Stadtrat Ludwig Käppele und das Selbstporträt des Bildhauers Hermann Binz.

Insgesamt vier Politiker, darunter Befürworter und Gegner des Brunnens, sowie zehn Künstler vertreten also die aufstrebende Residenzstadt Karlsruhe, die 1904 das 50jährige Bestehen der Akademie und sich selbst als bedeutendes Kunstzentrum feierte. Die Staatliche Kunsthalle Karlsruhe bewahrt Werke fast aller auf dem Brunnen verewigten Künstler, darunter auch die Selbstporträts von Trübner, Thoma und Fehr, die hier zum Vergleich abgebildet sind. Diese Werke vermögen die Vielseitigkeit der Karlsruher Kunst um 1900 zwischen Realismus, Historismus, Symbolismus, Jugendstil und Moderne zu veranschaulichen. Mit dem Brunnen auf dem Stephanplatz leisteten Hermann Billing und Hermann Binz einen bemerkenswerten Beitrag zum Wandel, durch den die Zeit generell geprägt ist.

Lit.: Gerhard Kabierske, Der Architekt Hermann Billing (1867-1946). Leben und Werk, Karlsruhe 1996, S. 199-202 (mit älterer Literatur) Text. Dr. Dr. Holger Jacob-Friesen

Nächste Haltestelle
Karlsruhe Europaplatz (Kaiserstr.)
Linie: S1, S11, S2, S5, Tram 1, 2, 3, 4, 6

Nächster Parkplatz
Amalienstr. 25a (Parkautomat)
Entfernung: ca. 50 m Luftlinie

Anfahrt
Anfahrt mit Google Maps planen

Weitere Denkmale in der Nähe: